AG Theater Rämibühl

 

Yvonne 

nach Witold Gombrowicz

 

Die Die Wälder brennen, die Meere steigen,
Alle wissens, doch wollen nur schweigen,
Sie sehen den Wandel, kalt und klar,                       
Und doch bleibt alles, wie es war

Gletscher schmelzen, Stürme wehen,                     
Wie lange noch, bis wir es sehen?                                 
Doch Hoffnung wächst in Widerstand,                     
Wenn Mut und Wandel Hand in Hand.

  • Abgrund unserer Gesellschaft
    Gedicht eines AG Theater Mitglieds während des Arbeitsprozesses zu YVONNE

 

Dieses Jahr wagte sich die AG Theater Rämibühl an den heute wie damals hochaktuellen und bitterbösen Theaterstoff des polnischen Autors Witold Gombrowicz. Yvonne schweigt, ist apathisch, von abstossender Erscheinung und wird zum Entsetzen aller vom Prinzen zur Braut erkoren. Ein Streich? Ein Auflehnen gegen Vater und Mutter? Yvonne weckt in ihrer Umgebung Beschämung, Hass, Aggressivität - kurz die Abgründe der einzelnen Mitmenschen. Yvonne wird zum Zersetzungsfaktor und schon bald verwandelt sich der Hof zu einer Brutstätte von Ungeheuerlichkeiten.
Alle werden sich einig, Yvonne muss sterben. So endet sie erstickend und reisst in ihrem Todeskampf die Oberfläche des Hofs mit. Zum Vorschein kommt der Abgrund der Gesellschaft. Ein hässliches, triefendes Loch eines todbringenden Systems. Doch nicht für alle. Als wäre nichts geschehen, richten der König und sein Hofstaat die alte Form wieder her. Die Leiche ist verschwunden, das Leben geht weiter. 


Die AG Theater stellte sich dem absurden Theater und untersuchte dabei die Lust des eigenen hyperaffirmierten Spiels. Das Ensemble widmete sich dem schwarzen und komischen Theater ganz nach Vorbildern wie den Filmen von Monty Python oder Inszenierungen von Herbert Fritsch. Das Publikum tauchte mit den Figuren in eine Märchenwelt ein und fand sich am Ende vor einem tiefen Abgrund, der ebenso tiefe Rückschlüsse auf die eigene Gesellschaft im Hier und Jetzt zuliess und erforderte.
Und wo blieb das Happy End? Das war und bleibt dann wohl Ansichtssache. The winner takes it all, the losers have to fall. Am Ende ist alles eine Frage der Perspektive. Gut für die, die gut stehen oder bequem sitzen.

Nachdem die AG Theater letztes Jahr das Stück «Valbella – frei nach Herr der Fliegen» in Koproduktion mit dem Theater Neumarkt realisiert hatte, äusserten die Jugendlichen ihre Lust, im Jahr 2025 ein Stück zu spielen, welches weiter weg von ihren eigenen Biografien steht. Erwachsene darstellen, in eine andere Welt eintauchen, absurde und überhöhte Darstellungen erkunden.

Auf der Suche nach einem geeigneten Stück sind wir der YVONNE über den Weg gelaufen. Die Heutigkeit, die in dem Stück mitschwingt, ist erschreckend. Die AG Theater erkannte in der Yvonne mehr als die Frau, welche in einer toxischen, patriarchalen Welt zu wenig Weiblichkeit ausstrahlt und somit keinen Wert hat. Sie ist auch das Fremde, das scheinbar Abnormale, welches als Gefahr gesehen wird. In Zeiten von Trump und Musk, in denen Sexismus zum guten Ton gehört, Faschismus wieder salonfähig geworden ist und das Fremde ausgeschlossen, entmenschlicht, vertrieben, gehetzt und ermordet wird, sollte YVONNE eine weitere Warnung sein. Ist dies wirklich der Weg, den wir wieder gehen wollen? Geschichte wiederholen, unseren Kindern den Weg in die Grausamkeit pfaden?
Die Jugendlichen widmeten sich dieser Politsatire mit viel Humor und Leichtigkeit und brachten es zustande, dass den Zuschauer:innen bei aller Absurdität des Stücks die Tragik der Realität nicht vergessen ging. 

Wie der ehemalige, langjährige Leiter der AG Theater Christian Seiler im Titel seines Buches “Wieder der Kälte der Welt” andeutet, ist Theaterspielen für die Jugendlichen tatsächlich eine Zuflucht und eine Erfahrung, die sie gerne in die Welt hinaustragen. Eine Erfahrung, in der sie der Kälte der Welt entfliehen können und als Erwachsene von Morgen Verantwortung mittragen wollen. Die Kälte der Welt soll unbedingt Einzug auf die Bühne finden, denn nur so kann sie von Wärme vertrieben werden.

 


Sabina Aeschlimann & Joachim Aeschlimann, AG Theater Rämibühl

Fotos: Achille Lietha